Borrominis San Carlino


 Stadtführung durch die Römischen Altstadt

Das Grab blieb leer – San Carlo alle Quattro Fontane

Ich sitze nun schon eine Weile in einer Nische und lasse den Raum auf mich wirken. Ein eigenartiger Raum. Ruhig und doch etwas befremdlich. Durchgehend weiß gekalkt und nur die Beleuchtung läßt Schattierungen an den Wänden entstehen. Er wirkt nicht wie von Menschen geplant, eher wie von einem unterirdischen Fluss aus dem Felsen gespült. Doch das leise Rauschen, das ich höre, kommt nicht von einem Wasserlauf, sondern vom römischen Feierabendverkehr, der sich über mir vorbeischiebt. Erst die Sirene eines Krankenwagens stellt wieder die Verbindung zur Außenwelt her. Der Raum wirkt leer, besser leer geräumt. Ich stelle mir vor, dass vor wenigen Tagen hier noch eine Kunstausstellung gewesen wäre, eine Vernissage, mit Buffet und wichtigen Leuten, die sich um die Häppchen gestritten haben. Nun hat man alles wieder eingepackt, ausgekehrt und nur zwei Stehleuchter da gelassen. Doch in Wirklichkeit war die Krypta von San Carlo alle Quattro Fontane in Rom immer leer. Seit ihrer Einweihung 1646 wurde nichts mehr zugefügt. Plötzlich stolpert ein Japaner die Treppe herunter und erschrickt ganz furchtbar, als er mich hier sitzen sieht. Er entschuldigt sich tausend Mal, weil er in meine Fotoaufnahme hinein gelaufen ist. Dabei bin ich fast froh an diesem ein bißchen unheimlichen und doch anziehenden Ort auf ein menschliches Wesen zu treffen.
San Carlino, Krypta
Dabei war durchaus „Inhalt“ für die Krypta eingeplant gewesen. Francesco Borromini, der Architekt von Kirche und Kloster hat eine Seitenkapelle als seine eigene Grabstätte vorgesehen. Doch als alles fertig und bereit war wurde ihm das Begräbnis hier verwehrt. Denn Borromini hatte sich an einem Augustabend 1667 in seinen Dolch gestürzt. Er litt an Depressionen, meinte sein Leben umsonst gelebt zu haben. Doch Selbstmord war eine unverzeihliche Sünde.
Francesco BorrominiSan Giovanni dei Fiorentini, Grab von Borromini
Er wollte ein zweiter Michelangelo werden und der wichtigste Architekt seiner Zeit und meinte er wäre gescheitert. Rückblickend wissen wir, dass er sehr wohl der einflussreichste und kreativste Architekt des 17. Jahrhunderts war. Ohne sein Vorbild sähe die Oberschwäbische Barockstraße traurig aus. Gut aus seinem Plan die Basilika San Giovanni in Laterano zum zweiten Petersdom umzubauen ist nichts geworden. Die Päpste speckten den Auftrag immer mehr ab, bis kaum mehr wie eine Wanddekoration übrig blieb. Doch mit dieser kleine Kirche auf dem Quirinalshügel, die man unauffällig im Querschiff der Lateransbasilika wegräumen könnte, hat er einen ganzen Kosmos geschaffen. Sie war quasi sein Lebenswerk. Als er sich mit seinem Chef, dem berühmten Bernini, überworfen hatte, bot er dem armen Orden der spanischen Trinitariern an auf sein Honorar zu verzichten, wenn er mit der Planung ihres Konvents seinen ersten eigenständigen Bau bekommen würde. 33 Jahre später, nach dem er mit seinem Gesamtwerk Rom ein neues Gesicht gegeben hat, war die immer noch unvollendete Kirche sein letzter verbliebener Auftrag. Nach einer dreijährigen Pause, verursacht durch den Schock des unerwarteten Tods des Architekten, vollendete der Neffe Borrominis die Fassade nach dessen Plänen.

Dabei tat dem Bau die lange Bauzeit durchaus gut. Der erste Entwurf, den Borromini zeichnete, zeigt noch eine konventionelle Kirchenfassade mit Anklängen an den Stil seiner Heimat am Luganer See. Doch bei den armen Trinitariermönchen kam das Irdische vor dem Himmlischen. Borromini errichtete erst Küche, Speisesaal und Schlaftrakt des Klosters, bevor er mit der Kirche beginnen konnte. Man hat den Eindruck, er hätte ein Stück Knetmasse genommen und daran so lange gedrückt und gezogen, bis dieser Raum mit seinen komplizierten Überschneidungen von Ellipsen herauskam. Die Mönche hatten kein Geld um fehlende Kreativität mit Gold und buntem Marmor zu überdecken. Und so arbeitete Borromini mit weißem Stuck gegen alte Sehgewohnheiten. Er setze eine konvexe Form dorthin, wo man eine konkave erwartet, ein gequetschtes Oval an die Stelle eines Kreises und auch einmal ein klassisches Kapitell einfach auf den Kopf. Borromini hat in seinem Leben gegen viele Widerstände angekämpft. Doch am meisten gegen den Rechten Winkel.
San CarlinoGrab Borrominis in San Carlino
Ich frage Frate Luìs, der in der Sakristei die Postkarten hütet, nach Borromini. Francesco Borromini war die Hälfte seines Lebens für die Mönchsgemeinschaft da. Hat dafür gesorgt, dass sie ein Dach über dem Kopf haben und eine Kirche, die seines gleichen sucht. Und in dem Moment, wo es mit ihm zuende ging haben sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Er wurde schließlich ins Grab seines Onkels Carlo Maderno in San Giovanni dei Fiorentini gelegt. Erst Jahrzehnte später wurde eine einfache, kleine Tafel mit seinem Namen dort in den Boden eingelassen. Die Krypta von San Carlino blieb leer. Inzwischen haben die Trinitarier ihren Frieden mit Francesco gemacht. Zu seinem 500ten Geburtstag wurde die Kirche grundlegend renoviert. Doch Luìs hat keine Lust über den Selbstmord von Borromini zu reden. Er erzählt lieber, dass es, trotz der Renovierung, immer noch durch das Dach des Klosters regnet. Und die Geschichte zweier seiner Mitbrüder. Neben der Krypta liegt eine Gruft, in der die Klosterbrüder begraben werden. Dort hielten zwei Mönche eines Nachts Todenwache und fragten sich wohin wohl der dunkle Tunnel in der Ecke des Raums führen könnte. Sie beschlossen eine Expedition durchzuführen. Allerdings hatten sie Angst in der Tiefe vor Sauerstoffmangel und Faulgasen. Also statteten sie sich mit Kerzen aus. Der Mutigere ging voraus und band sich ein Seil um den Bauch dessen Ende er dem anderen in die Hand drückte. Der folgte in zehn Meter Entfernung und hielt sich bereit seinen Kumpan am Seil zurück zu ziehen, sollte der ohnmächtig werden. Doch es ging alles gut. Die zwei Forscher stießen in die Räume eines antiken, römischen Wohnhaus vor. Jetzt wird dieses von einer koreanischen Studentin dokumentiert, die darüber ihre Doktorarbeit schreibt.

San Carlino, Kuppel