
Ich möchte euch heute zu einem Bild von Michelangelo de Merisi, genannt Caravaggio, mitnehmen, welches, obwohl es in seine Hauptschaffenszeit in Rom fällt, nicht zu den bekanntesten des Malers zählt. Dabei hat es bei seiner Fertigstellung für einigen Aufruhr gesorgt. Es befindet sich in der Cavalletti Kapelle in der Augustinerkirche zwischen Piazza Navona und dem Pantheon.

Sant’Agostino
1287 erhielt der Augustinerorden als zweiten Sitz in Rom nach Santa Maria del Popolo die kleine uralte Kirche San Trifone in der Via della Scrofa. In der Kirche ruhten die Gebeine des populären Märtyrers Tryphon aus Westanatolien. Bereits im 14. Jahrhundert beschlossen die Mönche einen Neubau von Kirche und Kloster neben San Trifone, das schließlich im 18. Jahrhundert für die Vergrößerung des Klosters abgerissen wurde. Der Bau zog sich wegen finanzieller Probleme und etlicher Umplanungen hin. Erst 1483 vollendete Giacomo di Pietrasanta die strenge Renaissancefassade für die er Travertinsteine von der Ruine des Kolosseums verwendete.

Michelangelo Buonarroti
Die Kirche hat eine prächtige Ausstattung mit Werken von Sansovino, Guerino, Raffael. Wir wenden uns jedoch gleich zur ersten Kapelle auf der linken Seite. Ursprünglich hatte Michelangelo Buonarroti den Auftrag für ein Altarbild in dieser Kapelle. Die Grablegung Christi. Es blieb unvollendet, da der Meister nach Florenz zurückkehrte, um den David zu schaffen. Das Gemälde kam nie in die Kirche, sondern gelangte über verschiedene Stationen in die National Gallery in London.

Die Kurtisane Fiammetta
Fiammetta Michaelis war eine bekannte Kurtisane in Rom, die durch das Erbe ihres Verehrers, des Kardinals Piccolomini, zu einigem Reichtum gekommen war. Ihr Haus, an der nach ihr benannten Piazza Fiammetta, ist heute noch zu sehen. Bekannt war sie vor allem als Geliebte von Cesare Borgia. Im Jahr 1506 erwarb sie die Kapelle und beauftragte Jacopo Torni, einen Freund Michelangelos, mit einem neuen Altarbild, einer Pietà., Das Werk gelangte 100 Jahre später in den Besitz von Kardinal Scipione Borghese.
Um 1500 war Sant’Agostino als Kirche der Kurtisanen bekannt, die hier zur Beichte kamen und dabei versuchten sich mit prächtigen Roben und ihrem Gefolge gegenseitig zu übertreffen. Dies hat sicher mit zum negativen Bild über Rom von Martin Luther beigetragen, der 1511 just im Kloster dieser Kirche wohnte.

Der Pilger Cavalletti
Ermete Cavalletti kam als Oberbuchhalter bei der Apostolischen Kammer zu Wohlstand. 1602 organisierte er eine Pilgerfahrt zum Madonnenheiligtum in Loreto bei Ancona. Der Legende nach sollen Engel das Geburtshaus Marias in das kleine mittelitalienische Städtchen geflogen haben, als Nazareth von den Mameluken erobert wurde. Fortan wurde es zu einem wichtigen Pilgerziel. Die Pilger kamen traditionell barfuß und bescheiden gekleidet. Die Männer ohne, die Frauen mit Kopfbedeckung. Für Cavalletti war dies das letzte eindrückliche Erlebnis seines Lebens, denn bereits im Folgejahr starb er. Seine Frau erwarb daraufhin die Kapelle der Fiammetta in Sant’Agostino, um ihren Mann dort zu bestatten.

Der Auftrag an Caravaggio
Noch vor seinem Tod hatte wohl Cavalletti Kontakt zu Caravaggio aufgenommen, denn der war in die Bruderschaft, für die der Buchhalter die Pilgerfahrt organisierte, gut vernetzt. Caravaggio vollendete das dritte Altarbild für die Kapelle 1606. Auch wenn wir nicht wissen ob die zwei Pilger, die vor der Madonna knien, Porträts von Cavalletti und seiner Frau sind, so ist das Bild doch eines der persönlichsten des Meisters, nimmt es doch ein privates Erlebnis eines Auftraggebers zur Grundlage.
Der Hauseingang mit dem antiken Türstock aus Marmor ist dabei keine exakte Widergabe des verehrten Marienhauses in Loreto, sondern symbolisch zu verstehen. Das hinter bröckelndem Putz zum Vorschein kommende schlichte Mauerwerk erinnert an die frühchristliche Bescheidenheit.

Die Pilgermadonna
Das Bild hat zwei Ebenen. Die reale mit den Pilgern, die genau wie wir als Besucher die Madonna beobachten. Und die metaphysische. Die Erscheinung der Gottesmutter mit dem segnenden Kind.
Für die Körperhaltung der Madonna ließ sich Caravaggio von der antiken Statue der trauernden Barbarin inspirieren, die damals in einer Sammlung in Rom zu sehen war. Die Skulptur, die möglicherweise Thusnelda, die Ehefrau von Arminius, Bezwinger der Römer unter Varus, darstellte, befindet sich heute in der Loggia dei Lanzi in Florenz. Für diese Verbindung zu einer Germanin wurde Caravaggio verschiedentlich kritisiert.
Anders als Thusnelda neigt die Madonna ihren Kopf nach links und entblößt einen langgestreckten Hals. Ein Motiv, dass Caravaggio auch bei anderen Madonnendarstellungen einsetzte und das Verletzlichkeit symbolisieren soll. Maria trägt ein deutlich dem Säuglingsalter entwachsenes Christuskind auf dem Arm, das die Pilger segnet.
Wie bei allen Gemälden dieser Schaffensperiode setzt Caravaggio besonders auf die Lichtwirkung. Im Grunde ist er der Erfinder des Spotlights in der Kunst. Eine starke Lichtquelle, die sich links oben außerhalb des Gemäldes befindet, beleuchtet die Szenerie, die sich ansonsten im Dunklen befindet. Das Licht betont besonders den Kopf Marias und das Jesuskind, das noch einmal durch das weiße Tuch hervorgehoben wird. Das Licht fließt abgeschwächt weiter über die Gesichter der Pilger und schließlich bis zu den schmutzigen Füßen des Mannes.
Das war der Aufreger. Dass Caravaggio dem Betrachter dreckige Füße entgegenstreckt, nahmen ihm zahlreiche Kritiker übel. Dabei war das sicher die realistische Darstellung eines Pilgers, wenn er nach beschwerlichem Weg in Loreto ankam.
Quellen: Sybille Ebert-Schifferer, Caravaggio: Sehen – Staunen – Glauben, Beck-Verlag 2019



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